Schmutziges Geld
Artikel vom 28. April 2021
Der neueste Schiffbruch vor Libyens Küste – dem so sehr gefeierten „neuen“ Libyen – bei dem mindestens 130 Personen gestorben sind und eine unbestimmte Zahl verschollen ist, hat sich ungefähr zwei Wochen nach der Erklärung Draghis ereignet, in der er seine Zufriedenheit mit den „Rettungen“ der libyschen Küstenwache ausdrückte.
Diese letztere kann sich erneut der Anwesenheit von „Bidja“ rühmen. Er wurde aus der Haft entlassen, obwohl es gegen ihn sehr schwere Anklagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Menschenhandel gibt. Es gibt hunderte Zeugenaussagen von Migrant*innen, die unter seinem Joch die Überfahrt gemacht haben, die diese Anklagen stützen.
Heuchelei im Namen der Macht und des Geldes: Geld, beschmutzt und befleckt mit dem Blut unschuldiger Menschen und unserer Gleichgültigkeit.
Keine Politikerin und kein Politiker hat zugegeben, dass diese Toten die direkte Konsequenz von Entscheidungen sind, die Vor- und Zunamen haben. Keine*r hatte den Anstand zu sagen, dass der Premierminister das übliche Drehbuch rezitiert hat, dass er wissentlich gelogen hat. Niemand, der auch nur eine durchschnittliche Kenntnis der Realität hat, würde Gefangennahmen „Rettungen“ nennen; denn die Menschen, die auf der Flucht vor Folter und Gewalt sind, werden wieder an Folterknechte übergeben.
Und der Großteil der Medien, außer den üblichen, wenigen und wertvollen Ausnahmen, spielen das Spiel dieser politischen Macht. Die Nachricht über dieses letzte Massensterben auf dem Meer hatte ganz wenig Platz in den Nachrichten. Sogar auf Repubblica-Online war sie erst an 35. Stelle zu finden.
Auch die Nachricht von der Anklage gegen Salvini im Fall Open Arms hat sich unter Schweigen vollzogen, als wolle man das Parteiübergreifende der Regierung bewahren, bei dem alle am selben Tisch sitzen. So geschieht es schon seit zu vielen Jahren.
Wir Italiener*innen entrüsten uns im Tempo eines Tweeds und vergessen, wer jeden Tag Verbrechen begeht. Wir lassen uns von Kriminellen den Weg zeigen, um den Sündenbock dieses geschichtlichen Augenblicks ausfindig zu machen.
Am 25. April haben sich, trotz Covid 19 und der Einschränkungen, viele Menschen auf der Straße getroffen, um die Befreiung vom Faschismus zu feiern. Der hat uns aber nie wirklich verlassen und will heute wieder den Kopf erheben. Er wird zur Gewohnheit auch dank eines ökonomischen Systems, in dem Geld alles bewirken kann: Die Regierungen bestechen, multinationale Konzerne schaffen, Informationen manipulieren. Trotz der Angst vor dem Virus wollten viele daran erinnern, dass wieder einmal Menschen willentlich ohne Rettung auf dem Meer sterben gelassen wurden, wie das Forum Antirazzista di Palermo beklagt.
Wem es gelingt, in Italien anzukommen, wird weiterhin nicht nur durch Hotspots und CAS*, sondern auch durch die Quarantäneschiffe gehen müssen, obwohl alle Vereine und die Schutzorganisationen seit Monaten die Absurdität und die Illegalität dieser Praxis anprangern.
Die Regierung hat die Ausschreibung für fünf Schiffe veröffentlicht, die allein für den Verleih jeweils 35.000 Euro pro Tag kosten. Hinzukommen für den Unterhalt 25 Euro pro Migrant*in pro Tag.
Die Präfektur von Palermo hat eine Ausschreibung über 552.000 Euro für ein Covid-Zentrum für 50 Personen gestartet; die Präfektur von Trapani hat für die Verwaltung der Covid-Zentren Gelder zur Verfügung gestellt – und noch mehr Geld für die Wiedereröffnung des CPR* von Milo (5,4 Millionen für 2 Jahre). Und so könnten wir die verschiedenen Ausschreibungen für die Covid-Zentren auf der ganzen Insel weiter auflisten. Ein Geldregen, der in immer weniger Händen konzentriert ist, und die immer dieselben sind, auch hinter der Gründung neuer Einrichtungen.
Wir können nicht damit rechnen, dass sich die Aufnahme ändert und dass die Menschen nicht Gefangene eines kriminellen Systems bleiben, das sie unsichtbar macht. Zu viele Migrant*innen landen nach den Covid-Zentren auf der Straße, auch sehr junge. Wir finden sie in den Bahnhöfen unserer Städte oder auf dem Land. Dort macht irgendjemand weiter damit, Geld zu verdienen auf Kosten der sehr vielen Unsichtbaren. Dies geschieht ohne irgendeinen Skrupel und unter Mitwisserschaft der Politik, die Projekte finanziert, die auf hinterlistige und heuchlerische Art so tun, als ob sie Migrant*innen unterstützten.
Wir haben gestern einer von ihnen getroffen, einen von vielen, der uns über die Befreiung folgendes gesagt hat: „Ich bin hierhergekommen, um zu arbeiten und nicht um zu spielen. Ich habe meine Mutter, meine Schwester und meinen Vater im Senegal zurückgelassen und jeden Abend träume ich davon, dass wir noch einmal zusammen an einem Tisch essen können. Sie sind meine Kraft und sind immer bei mir in meinem Herzen. Ich bin gekommen, weil ich ein freies Leben haben wollte, weil ich ein freier Mensch sein will, aber im Moment bin ich Sklave eines anderen Menschen und der Bürokratie. Aber kein Menschenhändler, kein*e Politiker*in, kein Faschist wird jemals meinen Willen zur Freiheit stoppen, auch wenn es hart ist, wirklich hart. Ich will nicht reich werden, Geld interessiert mich nicht. Ich will einzig ein gutes Leben führen“.
Er ist einer der neuen Partisanen, einer von jenen, die jeden Tag gegen den sich ausbreitenden Faschismus kämpfen, wie unsere Großeltern. Er wird uns die Kraft geben weiterhin Widerstand zu leisten.
Alberto Biondo
Borderline Sicilia
*CAS: Centro di accoglienza straordinaria – Außerordentliches Aufnahmezentrum
*CPR: Centro di permanenza per il rimpatrio – Abschiebungshaft
Übersetzung aus dem Italienischen von Rainer Grüber