Die Geschichte von Salifu, von der libyschen Hölle zu einer Gegenwart der Ausbeutung in Italien

„Wissen Sie, dass die Leute, die auf See sterben, viel mehr sind als diejenigen, von denen uns die Zeitungen erzählen? Weißt du, dass die Tage in Libyen die Hölle sind? Ganz zu schweigen von den Nächten. Und du kannst dir nicht vorstellen, wie „man nicht lebt“. Viele von uns hoffen, dass der Tod uns holt, nur um nicht zu erleiden, was wir erlitten haben, und auch hier weiter erleiden müssen. Ich habe nicht den Mut, mir das Leben zu nehmen und ich möchte Allah nicht verärgern, der meine einzige Lebensader ist, der mir hilft, die Schwierigkeiten zu überwinden, denen ich jeden Tag begegne.“
Dies sind die Worte von Salifù, der sich seit 6 Jahren in Italien befindet, von denen er zwei in Palermo verbrachte. Er erzählt dies, während wir auf einer Bank sitzend die letzten Nachrichten über vermisste tunesische Jungs besprechen.

Salifù hofft wie so viele andere, dass sich die Atmosphäre geändert hat, auch wenn die Kritikpunkte zahlreich sind, da schließlich diejenigen, die Macht ausüben, immer einen Sündenbock brauchen und, bis ein anderer gefunden wird, es die Migrant*innen sein werden, die herkommen aus dem Süden. Süden als Armut verstanden, Süden als Gefahr verstanden, Süden, der in den Köpfen der meisten Menschen, die nichts als das Geschrei der faschistischen Politiker*innen hören wollen, der*die Migrant*in ist, der*die aus dem Meer kommt.

Häfen schließen, Mauern errichten, Grenzen verteidigen – das sind die Schlagworte eines Europas, das die Funktion des*der Einwanderungsbeauftragten auf den „Schutz des europäischen Lebensstils“ reduziert. Um das Migrationsproblem zu einer Sicherheitsfrage zu machen, mehr noch, zu einer Frage der Identitätsverteidigung, mit der Zustimmung der Grenzlobbyist*innen, der größten europäischen Industrie. Das untrennbare Begriffspaar „Migration und Sicherheit“ bedeutet für Frontex mehr Geld, es bedeutet mehr Geld für Netzwerke, Drohnen, Mauern, Körperscanner, es bedeutet mehr Waffen, es bedeutet mehr Tod. Dies ist der Wind, der in Europa weiterhin weht, jenseits dessen, was in der italienischen Politik geschieht, die sich in voller Verwirrung und Entwicklung befindet, aber stets gekennzeichnet von einer minderwertigen und gewalttätigen Dialektik.

Während die Zeitungen nur auf das, was im Norden der Welt passiert, ihre Aufmerksamkeit legen, sind in Libyen Tausende von Menschen weiterhin Opfer von Missbrauch, Folter und Gewalt, dank der Abkommen mit Italien und Europa. Abkommen, die gerade in den letzten Tagen, sowohl durch den Ministerpräsident Conte – auf dem Treffen der Fratelli d’Italia – als auch vom Innenminister Lamorgese – auf dem Gipfeltreffen für Umverteilungen in Malta – gewürdigt wurden, indem die klare Absicht formuliert wurde, diesen Weg fortzusetzen. Die Tageszeitung ‚Avvenire‘ berichtete erst vor wenigen Tagen über einige Passagen eines UN-Berichts, in dem die Beteiligung seitens der libyschen Küstenwache am Menschenhandel angeprangert wird: „Die Aneinanderreihung der Verstöße ruft jene Länder wie Italien in die Verantwortung, die die libyschen Behörden finanzieren und ausrüsten, ohne jemals die geringste Verpflichtung der libyschen Küstenwache zur Achtung der Grundrechte einzufordern“.


Letzte Woche berichtete die Internationale Organisation für Migration (OIM) über die Tötung eines sudanesischen Mannes, der versucht hatte zu fliehen, nachdem er auf See gefangen genommen und von der sogenannten libyschen Küstenwache nach Tripolis zurückgebracht wurde. Die Farben der Regierungen ändern sich, aber nicht die kriminelle Politik der europäischen Regierungen.

In jedem Fall wird die Politik niemals in der Lage sein, Menschen mundtot zu machen, die massive Narben an ihrem Körper und insbesondere aber in ihrer Seele haben.

Und Salifu bleibt auch in Angesicht der Videos dieser Tage über die x-te autonome Ankunft an der Küste von San Leone in Agrigent nicht gleichgültig.

Ungefähr 25 Menschen kamen zuletzt aus Tunesien auf der Suche nach einer besseren Zukunft an, während die Politik die Arbeit von Menschenhändler*innen willentlich erleichtert, indem sie unsichtbare und leicht auszunutzende Subjekte erschaffen. Es wird zu viel geschwiegen zum Schicksal der Tunesier*innen. So sind in den Rückführungszentren oder in den Hotspots Selbstverletzungen oder Selbstmordversuche an der Tagesordnung, wie die Einwanderungsbehörde von Caltanissetta belegt: „In einem dieser Käfige haben heute Morgen zwei Jungen eine zerstückelte Neonröhre verschluckt. Wie viel Verlangen zu sterben braucht man, um eine Neonröhre zu schlucken? Zweimal pro Woche, sonntags und donnerstags, werden die Menschen aus diesem Käfig abgeschoben und an den Ort zurückgeschickt, von dem sie geflohen sind. Und in demselben Käfig spielen sich jeden Samstag und Mittwoch die Tragödien derer ab, die die größte Resignation wählen, um sich nicht dem ungewollten Schicksal zu ergeben. Auf Kosten grausamen Leidens. Der Käfig, von dem wir sprechen, ist das Haftzentrum Pian del Lago: Für viele ein 5-Sterne-Hotel, für andere das wichtigste Unternehmen unserer Stadt. Für uns ein Ort des Todes. Selbst wenn es keinen Tod gibt, streift er uns und geht weiter.“

Salifu kam, wie viele andere auch, nach einer Reise nach Italien, auf der er dem Tod entkam. Er hatte Schmerzen, sah sich Enttäuschungen und Hindernissen gegenüber, die ihn an den Rand des Selbstmords führten: „Ihr dürft nicht überrascht sein, wenn jemand versucht, sich umzubringen. Der Schmerz ist zu stark, die Angst, wieder dieselben Gräueltaten zu spüren, quält uns, unsere Wunden bluten jeden Tag. Ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich immer wieder darüber nachgedacht habe, es zu beenden. Allah hilft mir, das nicht zu tun, aber als ich die Hoffnung auf eine Aufenthaltserlaubnis verlor, sagte ich: genug. Dann traf ich zum Glück einen Engel, der mich begleitete und mir Hoffnung gab. Ein Sprach- und Kulturmittler, der mich buchstäblich an den Haaren gepackt hat, nachdem einige Sozialarbeiter, nein Arbeiterinnen, mich betrogen haben, mich ausgenutzt haben“.

An diesem Punkt hört die Geschichte von Salifu für einen Moment auf um dann wieder einzusetzen an dem Punkt, an dem ihm einige Mitarbeiter*innen anfangs im Austausch gegen Sex geholfen haben. Anfangs dachte er, es sei Liebe, bis er feststellte, dass es sich um eine etablierte Praxis handelte. „Von dem Moment an, als ich am Boden angekommen war, wurde mir klar, dass ich meinen Körper benutzen konnte, um leben zu können, da ich nichts mehr hatte, hatten sie mich ausgenutzt und dann durch einen anderen ersetzt. Also gehe ich heute mit den Frauen und werde bezahlt, und weißt du, ich kann essen, ich habe ein Dach über dem Kopf und kann Geld nach Hause schicken. Meine Mutter weiß nicht, was ich beruflich mache, sie fragt mich nicht, und oft, wenn ich zum Objekt des Begehrens einer Frau werde weine ich, aber ich ziehe mich sofort danach an und denke, bis ich andere Möglichkeiten finde, werde ich mich weiter prostituieren. Verurteile mich nicht, ich weiß, dass es nicht richtig ist, aber ich muss essen“.

Salifu hat gerade seine Aufenthaltserlaubnis erneuert und wird nach Foggia und Umgebung zurückkehren. Er hat kein Haus, „ich bin ein Weltbürger“, und wird seinen Kampf für seine eigenen Rechte und die seiner Freund*innen fortsetzen, die er „Sklaven des Nordens, Sklaven von Männern und Frauen ohne jedes Schamgefühl“ nennt.

Er bezeichnet sich als glücklich, Menschen mit einer Seele getroffen zu haben, und hat die Lust wiedergefunden zu träumen: „Hör zu, ich habe auch einen Traum: Ich möchte eine Frau finden, die mich für das liebt, was ich bin und eine Familie gründen, eine Frau, die es schafft alles zu vergeben, was ich getan habe und die sich viele Kinder wünscht, meine Mutter kann es kaum abwarten Großmutter zu werden.“

Alberto Biondo
Borderline Sicilia

Übersetzt von Francesca Barp