Das Aufnahmezentrum von Mineo: Nach acht Jahren schließt das von der Lega gewollte Ghetto
Ein Bericht über die Entstehung eines Zentrums der Gewalt und der Unterdrückung
Das Aufnahmezentrum von Mineo, eine Aufnahmestruktur für Asylsuchende, hätte es nie geben dürfen. Es wurde 2011 während der ‚Ausnahmesituation Nordafrika‘ eröffnet und zwar in den Wohnhäusern der amerikanischen Militärs, die in Sigonella angesiedelt wurden. Der Ort wurde zu einem Sinnbild eines Aufnahme-Ghettos, das schwere Auswirkungen auf das Leben der Asylsuchenden hatte. Das haben wir in den letzten Jahren immer wieder beobachtet und dokumentiert.
Missbrauch, Gewalt und Ausbeutung, das sind die Schlüsselwörter mit denen sich das Zentrum beschreiben lässt. Es gibt hunderte Gewaltfälle und strukturelles Leiden, die mit dem Aufnahmezentrum Mineo in Verbindung gebracht werden können. Hier waren bis zu 4.000 Personen untergebracht, doppelt so viele wie maximal zugelassen. Tausende Personen haben das Zentrum passiert. Sie kamen aus Afrika oder Asien. Hier wurden sie abgestellt, ohne Respekt gegenüber ihre Rechten und hier wurden sie gedemütigt, während der extrem langen Wartezeit auf den Ausgang ihrer Asylanfrage. Ein juristischer Skandal folgte auf den anderen, es gab Ermittlungen, Gerichtsprozesse und parlamentarische Untersuchungskommissionen. Die staatliche Finanzierung des Zentrums sowie dessen Betrieb wurden trotzdem nie ausgesetzt.
Ein Zentrum dieser Art war für die Geflüchtetenaufnahme während einer Ausnahmesituation gedacht. Weil die Geflüchteten hier ausgegrenzt wurden, hätte es dieses Zentrum nie geben dürfen. Seit dem Tag seiner Eröffnung haben wir hartnäckig die Schließung des Zentrums gefordert, um die Rechte der Migrant*innen, die systematisch verletzt wurden, zu schützen.
Mit der Schließung des Zentrums, die heute von einem Innenminister der Lega versprochen wurde, schließt sich der Kreis. Denn es war vor acht Jahren ebenfalls ein Innenminister der Lega, der dessen Öffnung veranlasste. Es handelt sich hier um gegensätzliche Entscheidungen der selben Propaganda-Politik. Heute führt Salvini eine Maßnahme fort, die Illegalität und rechtlose Opfer der Kriminalität und Ausbeutung fordert. So bleiben auch nach der Schließung des Zentrums in Mineo viele Personen ohne Aufnahme und ohne Möglichkeit auf eine gerechte und würdevolle Unterbringung.
Deportation der Migrant*innen und Rechtsverletzungen
Im letzten Sommer kündigte Minister Salvini die unverzügliche Schließung des Aufnahmezentrums von Mineo an. Es handelte sich dabei zum hundertsten Mal um eine Anti-Migrant*innen-Propaganda. Die Umsiedelungen im Zuge der Schließung haben am 9. Dezember 2018 begonnen und bis zum 2. Juli 2019 angedauert. An diesem Tag hat die letzte Gruppe, jener Migrant*innen die das vor sich hinsiechende Zentrum überlebt haben, dieses verlassen.
Im Laufe dieser sieben Monate haben regelmäßig alle zwei Wochen mehrere Busse das Zentrum verlassen. Zum Ziel hatten sie verschiedene ordentliche sowie außerordentliche Aufnahmezentren auf Sizilien sowie im restlichen Italien. Die betroffenen Migrant*innen wurden bis zuletzt nicht über das Ziel ihrer Reise informiert. Viele von ihnen landeten an noch schlimmeren Orten. Diese Praxis zeigt deutlich, dass es nie einen Schließungsplan zu Gunsten der Bewohner*innen des Aufnahmezentrums gegeben hat. Damit das Zentrum geräumt werden konnte, wurden die Personen einfach auf andere Einrichtungen aufgeteilt. Das einzige politische Ziel dabei war, den von der Regierung angekündigten Kampf gegen die Migration sichtbar zu machen.
Von Pian del Lago in der Provinz Caltanissetta bis hin zur ehemaligen Kaserne Gasparro in Messina erzählten uns die Migrant*innen von den unzumutbaren Zuständen, in denen sie gelandet sind. Fotos, Videos und Berichte bezeugen die beschwerlichen Lebensumstände in den neuen Zentren. Dieser Umstand verlängerte das Unwohlsein, das sie bereits in Mineo kennen gelernt haben. Über die letzte Umsiedelung am 2. Juli in das kalabrische Zentrum bei Isola di Capo Rizzuto in der Provinz Crotone haben wir von den Migrant*innen folgende Informationen erhalten: Trotz ihres Widerstands mussten sie die ersten Stunden nach ihrer Ankunft im Hangar verbringen. “Selbst der Tod ist besser als das Leben hier”, steht auf der Mauer des Hangars geschrieben. Ein Foto das uns die Migrant*innen geschickt haben zeigt die Aufschrift.
Zahlreiche Migrant*innen haben den Umzug in eine andere Unterkunft verweigert, oder sie haben das neue Zentrum kurz nach ihrer Ankunft verlassen, um selbst nach einem besseren Ort zu suchen. Die Ausreiser*innen hatten zwei Möglichkeiten: Entweder sie machten sich auf in eine andere italienische Stadt oder ins Ausland (dabei verloren die meisten ihr Recht auf Asyl) oder sie kehrten in das Zentrum von Mineo zurück. Dort hatte sich in der Zwischenzeit eine Gruppe von offiziellen und inoffiziellen Gästen selbst organisiert. Die Umsiedelungen der letzten Monate führten dazu, dass sich das Zentrum von Mineo langsam leerte. Trotzdem verringerte sich die Zahl der effektiven Gäste kaum. Während hunderte Migrant*innen das Zentrum durch den Haupteingang verließen, kamen und gingen durch die großen Löcher im Zaun hunderte Menschen ein und aus, mit oder ohne Badge.
Der von Militär und Polizei konstant bewachte Eingang war in Wirklichkeit nur die Fassade einer Struktur, die ihren Bewohner*innen weder Sicherheit noch Schutz bieten konnte. Seit einigen Monaten gehörten Brände, eingestürzte Dächer und Angriffe von Hunden zwangsläufig zum Leben im Zentrum. Die Mängel gab es bereits vorher. Die Unterdrückung seiner Bewohner*innen hat das Leben im Aufnahmezentrum von Mineo immer überschattet.
Ganz oben auf der Liste der Missstände, die wir immer wieder dokumentierten, stehen die fehlende soziale und legale Beratung, die fehlende Rechtsberatung und die Information über die Möglichkeiten der Asylantragsteller*innen. Mit der Zeit wurden weitere illegale Praktiken zur Normalität: Das Taschengeld wurde in Form von Zigaretten ausbezahlt, es gab nicht genügend Essen für alle, es fehlte an Kleidern, zudem mangelte es an gesundheitlicher Betreuung. Selbst besonders schutzbedürftige Personen, wie Menschen mit physischen und psychische Störungen und Frauen, die Opfer von sexueller Ausbeutung wurden, wurden nicht genügend geschützt. Dieser Missstand verschlimmerte sich in den Monaten vor der Schließung in dem weitere Dienste gekürzt und Sprachkurse sowie Weiterbildungsangebote ganz gestrichen wurden. Vor allem in den letzten Wochen wurde die Lage im Zentrum von Mineo noch chaotischer: Die Gruppe der verbleibenden Migrant*innen, die meisten von ihnen besonders schutzbedürftige Personen, lebten in prekären Umständen in einer Einrichtung ohne jede weitere Instandhaltung.
Die Maschinerie der Illegalität und der Unsichtbarkeit
Am 2. Juli konnten wir mit eigenen Augen mit ansehen, wie das Aufnahmezentrum von Mineo endgültig geräumt wurde. Die letzten 80 bis 90 Bewohner*innen mussten das Zentrum verlassen. Unter ihnen befanden sich sowohl reguläre als auch nicht registrierte Bewohner*innen. Letztere waren durch die Löcher im Sicherheitszaun in das Zentrum gelangt. Bevor die Direktion den Haupteingang absperrte, kümmerten sich die Mitarbeiter*innen darum, dass auch alle nicht offiziell hier registrierten Migrant*innen das Zentrum verlassen hatten. Bis dahin haben sie unsichtbar im Zentrum gelebt. Jetzt, ohne angemessene rechtliche Unterstützung, riskieren sie auf der Straße zu landen und ihr Asylrecht zu verlieren. Auf Einkaufswagen und in Koffern transportierten die Migrant*innen ihre persönlichen Gegenstände davon, in Richtung neuer Ziele. Viele von ihnen landeten auf der Straße und wurden vom letzten vorbeifahrenden ‚ethnischen Taxi‘ ein Stück mitgenommen.
Der Bischof von Caltagirone hat zugesagt, für 26 Migrant*innen mit und ohne gültiger Aufenthaltsgenehmigung eine Unterkunft in verschiedenen sizilianischen Provinzen zu organisieren. Dies geschah in Absprache mit der Direktion des Aufnahmezentrums in Mineo und mit der Unterstützung lokaler Pfarreien sowie der Caritas.
Am 5. Juli besuchten wir die Villa Mantelli bei Caltagirone. In diesem Haus brachte die Kirche einige der Migrant*innen zwischenzeitlich unter, bis eine neue Unterkunft gefunden wird. Wir hörten die Erzähungen einiger Betroffener an, wir boten ihnen Rechtsbeistand an und wir intervenierten bei den besonders kritischen Fällen. Wie wir dabei feststellen konnten, warteten einige der Menschen noch auf die Antwort der Asylkommssion, andere hatten bereits einen negativen Bescheid erhalten und wieder andere sind von ihren Anwälten im Stich gelassen worden. Unter ihnen waren Menschen die eine medizinische Behandlung benötigten. Drei Personen waren psychisch sehr angeschlagen und befanden sich bereits in Behandlung durch MEDU (Organisation Ärzte für Menschenrechte – Medici per diritti umani). Dank der Arbeit der Mitarbeiter*innen von MEDU wurde noch eine weitere Person mit psychischen Problemen ausfindig gemacht, die nach der Schließung des Zentrums einfach dort geblieben war. Die Person wurde dort mit einer Kopfverletzung gefunden und ebenfalls in die Unterkunft Villa Mantelli gebracht.
Hier hat sich Schwester Chiara darum gekümmert, dass sie alle in verschiedene Zentren der Caritas auf Sizilien umgesiedelt wurden.
Wir wissen, dass sich viele Migrant*innen mit ähnlichen Problemen noch auf der Straße aufhalten, in der Umgebung von Mineo oder Catania. Wir wissen auch, dass sie keinen Zugang zu Hilfe und Ressourcen haben.
Auch wenn das Zentrum von Mineo geschlossen wurde, ist es trotzdem offensichtlich, dass eine Schließung auf diese Art und Weise schwerwiegende Folgen mit sich bringen kann.
Gegen das Aufnahmezentrum von Mineo und gegen die kriminalisierende Politik von Salvini
Für morgen, den 9. Juli, hat Innenminister Matteo Salvini eine Pressekonferenz im ehemaligen Aufnahmezentrum von Mineo angekündigt. Dort plant er die Schließung des Zentrums zu feiern, beziehungsweise sie im Rampenlicht der Medien zu zelebrieren. Während der Pressekonferenz wird er von der von ihm erfolgreich in die Wege geleiteten Schließung erzählen, sowie darüber, dass der Kampf gegen die Migrant*innen immer mehr Form annimmt. Salvini wird aber nicht die Geschichte von D. erzählen, der sich nach der Schließung nach Crotone aufgemacht hat, mit einem Buch von Alessandro Baricco in der Hand, das ihm gute Freunde geschenkt haben. Salvini wird auch nicht die Geschichte von H. erzählen, die mit ihrem kleinen Sohn in ein anderes Zentrum deportiert wurde und ebensowenig von M. der durch die Reise nach Italien sowie durch die Behandlung in Mineo besonders schutzbedürftig geworden ist. Er wird sie nicht erzählen, weil er diese Geschichten nicht kennt und weil ihn die Geschichten der Menschen, die sie erlebt haben, nicht interessieren. Ebenso wenig interessiert ihn die komplexe Realität im Zentrum. Salvini wird hier eine beschämende und ignorante politische Propaganda für seine kriminalisierenden Aktionen machen, die die Absicht verfolgen, eine unbehagliche Situation für die Migrant*innen zu schaffen. Er wird sich hier her stürzen, um die hundertste Gewalttat zu feiern, die über Facebook und Twitter verbreitet wurde.
Noch einmal wird er eine Schließung feiern. Dieses Mal nicht die eines Hafens, sondern die eines Zentrums. Die Schließung eines Eingangstores das sich überhaupt nie hätte offnen dürfen und nie auf diese Art und Weise schließen. Er wird noch einmal zusperren, um zu verneinen, um die Legitimation zu entziehen, um zu kriminalisieren und um wissentlich die Geschichten der Migrant*innen zu ignorieren, an die wir aufmerksam erinnern und die wir weiter erzählen.
Auch wir werden morgen, am 9. Juli, bei der Pressekonferenz von Salvini sein. Und zwar nicht um dieses Desaster zu feiern, sondern um zu erzählen wie die Sachen wirklich laufen. Wir wollen über diese schreckliche Wahrheit von Mineo informieren und Zeugnis von diesem Tag nehmen, an dem die Rechte der Migrant*innen mit Füßen getreten werden, in einem medialen Propagandaspektakel. Wir wollen daran erinnern, dass gerade die Nicht-Aufnahme der Regierung die Unsicherheit und die soziale Gewalt geschürt hat und weiter schüren wird. Wir werden an der Seite der Migrant*innen stehen, so wie wir während der ganzen letzten Jahre neben ihnen gestanden haben, um die Opfer dieses ungerechten Aufnahmesystems zu unterstützen. Eine Aufnahme die ghettoisiert und ausgrenzt, wie wir in Mineo gesehen haben.
Wir werden mit unserer Arbeit fortfahren, indem wir diese Praktiken weiter anklagen und die gelungenen Beispiele der Aufnahme unterstützen, die wir aufbauen könnten und sollten. Damit es keine weiteren Zentren wie Mineo gibt und die baldige Öffnung – und nicht die Schließung – in Richtung der Migrant*innen und eines Aufnahmesystems und Zusammenlebens, das allen zu Gute kommt.
Silvia Di Meo
Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner