Das obszöne Schauspiel des Angriffs auf die Solidarität

Für zu viele Tage haben wir den xten Akt der Kraftmeierei dieser Regierung ertragen müssen. Die hat nur ein Ziel: Politische Propaganda zu betreiben und Zustimmung in einem Italien zu sammeln, das immer verdorbener wird.

Geisteranlandung von 25 Personen in Mazara del Vallo – Quelle: tp24.it

Wir mussten zum xten Mal das Leiden von 40 Personen mit ansehen, die von eingebildeten Halunken und Gesetzesanalphabeten in Geiselhaft gehalten werden. Wir mussten zum xten Mal mit ansehen, wie eine NGO in den Dreck gezogen wird, die Rettungen auf dem Meer durchführt, weil es sonst kein Schiff mehr auf dem Meer gibt, das rettet. Wir mussten zum xten Mal mit ansehen, wie eine starke und couragierte Frau entsetzlich beleidigt wird und wir mussten auch mit ansehen, wie sie unter dem Geschrei unsäglicher Worte verhaftet wurde.

Wir sind überschwemmt worden von dem faulen Geifer, der aus den Mündern von Leuten hervorsprudelt, die, wenn auch so erbärmlich und kümmerlich, dass man sie fast bedauern müsste, gleichwohl gewalttätig und gefährlich sind. All das, um das Versagen, die Schande und die Verbrechen derer zu verbergen, die an der Macht sind.

Die Schuld liegt bei denen, die von den NGOs gerettet werden

Und das Paradox ist genau dieses: 40 Personen können nicht anlanden, weil sie von einer NGO gerettet wurden, während weitere 400 (so viele sind allein in den letzten Tagen auf Sizilien angekommen) anlanden können, ohne dass irgendjemand diese Nachricht hervorhebt, ohne dass jemand eine politische Frage formuliert. In zeitlicher Reihenfolge waren dies die letzten Anlandungen: 25 Personen in Mazara del Vallo am 27. Juni, 25 auf Lampedusa und 46 in Pozzallo am Sonntagabend, dem 30. Juni.

Die politischen Kräften, die das System wirklich verändern wollen, können uns nicht mit lärmenden Gesten unter Scheinwerfern zufrieden stellen. Wir fordern einen wirklichen Kurswechsel im Blick auf die politischen Maßnahmen, die bisher umgesetzt wurden und zu diesem Debakel geführt haben. Die Situation ist vor allem deshalb besorgniserregend, weil alles unter dem ohrenbetäubenden Schweigen der Institutionen geschieht, die den Respekt vor den Gesetzen und der Verfassung garantieren müssten. Kein einziges Wort vom Präsidenten der Republik.

Keine Aufnahme

Und während die Farce, dass niemand mehr ankommt, weitergeht, sind die einzigen Gewissheiten nur die, dass Grenzen weiterhin ohne Pause auf dem Mittelmeer töten. Vor wenigen Tagen wurde der Leichnam eines Jugendlichen aus den Netzen eines Fischerbootes vor Sciaccia geborgen. Vor zwei Tagen sind weitere sechs Personen von der Politik der Mauern vor der marokkanischen Küste ermordet worden.

Und die, die in aller Stille anlanden, wo werden sie aufgenommen? In Zentren, die sich in immer kritischerem Zustand befinden, in denen man nichts mehr macht, außer die Leute zusammen unterzubringen, ohne Rücksicht auf den Schutz von Frauen oder Minderjährigen. Wegen der Abschiebezentren (CPR)* hat sich die Aufsichtsbehörde für Gefangene und ihrer persönlichen Freiheit beraubten Personen vergangene Woche zu Wort gemeldet: „Eine Situation, kritischer noch als in der Vergangenheit, sehr hart und besorgniserregend, sei es aus Sicht des alltäglichen Lebens, das ohne jegliche Aktivität verläuft, mit offensichtlichen Rückwirkungen auf die psychische und physische Gesundheit der festgehaltenen Personen (bis zu sechs Monaten oder auch mehr), sei es im Blick auf die materiellen Bedingungen des Lebensraums, oft zerstört oder angezündet von vorherigen Bewohner*innen, aber in diesem beschädigten Zustand und ohne Hygiene behalten.“

Vor zehn Tagen mussten wir das Festhalten von zwei unbegleiteten Minderjährigen im CPR* von Milo beklagen.

Nach unserer Anzeige, die nur von wenigen Zeitungen hervorgehoben wurde und auf die keine Institution geantwortet hat, haben wir erfahren, dass einer der zwei Minderjährigen das CPR* auf eigene Faust verlassen hat und der andere in ein SIPROIMI* verlegt wurde, in das er von Anfang an hätte gehen sollen.

In den CPR* von Trapani und Caltanissetta werden in fast allen Fällen die Tunesier*innen untergebracht, die täglich mit Schiffen ankommen, die niemand sieht, oder niemand sehen will. Diejenigen, die nicht aus Tunesien stammen, dagegen in Zentren wie jenes der Villa Sikania.

Das Zentrum Villa Sikania in Siculiana (Provinz von Agrigent)

Wir haben zahlreiche Hinweise von Männern und Frauen bekommen, die die blamablen Bedingungen in diesem Zentrum beklagen, wie von uns mehrmals hervorgehoben. Nach den Fotos, die uns geschickt wurden, scheint es, dass Schmutz in den Mehrbettzimmern herrscht, in denen Große und Kleine mehr als einen Monat verbringen, ohne dass irgendein Verfahren auf den Weg gebracht wird. Ein Raum, der mehr als Behältnis fungiert, in dem sich die Wanzen zwischen Bettlaken und Kopfkissen befinden.

Ein Paradox dieser Zeiten: das Offensichtliche erklären zu müssen, zum Beispiel dass Libyen kein sicherer Hafen ist. Seit gestern ein Konzept, das auch vom italienischen Außenministerium geteilt wird. Aber wer müsste eine kohärente Regierungspolitik garantieren? Wer müsste die Begrenzung von Minister*innen garantieren, die ihre institutionelle Beauftragung dazu nutzen, zu beleidigen, anzugiften, Hass, Rassismus und Sexismus zu propagieren, Bürger*innen zu drohen, die ihr Recht auf Kritik ausüben, zu Vergewaltigung und Mord aufzuhetzen. Wer garantiert unsere Sicherheit vor solchen Leuten, die darauf abzielen, die staatliche Ordnung und seine Institutionen zu ruinieren? Wer?

Wir wollen einen der zahlreichen Hilferufe verbreiten, die uns erreichen und unser Herz brechen, weil wir völlig ohnmächtig sind. Ein syrischer Mann ist dem Krieg entkommen. Er hat gesehen, wie sein Bruder umgebracht wurde. Er hat den Libanon durchquert und ist in Libyen angekommen. Wenn er die Schlepper nicht bezahlt, riskiert er, Kinder und Frauen zu verlieren, die als Geiseln genommen wurden. Er bittet verzweifelt um Hilfe.

Wir dürfen uns nicht an diese Unmenschlichkeit gewöhnen und müssen tapfer durchhalten bis sich das Blatt früher oder später wendet.

Alberto Biondo
Borderline Sicilia

*CPR – Centro di permanenza per il rimpatrio: Aufenthaltslager zur Rückführung
(früher: CIE – Zentrum zur Identifikation und Ausweisung)
*SIPROIMI – Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati: Schutzsystem für anerkannte (!) Asylbewerber und unbegleitete minderjährige Geflüchtete (in der Nachfolge der SPRAR – Sistema di protezione per rifugiati(!) e richiedenti(!) asilo: Schutzsystem für Asylsuchende(!) und Geflüchtete(!), kommunales Aufnahmesystem auf freiwilliger Basis (keine staatliche Verpflichtung), ca. 3000 – 3500 Plätze in ganz Italien. Soll zur Integration der Geflüchteten dienen.

Übersetzung aus dem Italienischen von Rainer Grüber