Überlegungen zum Menschenhandel: die sexuelle Ausbeutung der nigerianischen Frauen in Palermo

In der Nacht vom 4. April gelang den mobilen Einsatzkräften von Palermo im Rahmen der Operation „No Fly Zone“ ein Durchbruch. Gegen die kriminelle Zelle Eiye aus Nigeria ist ein wirksamer Schlag gelungen. 13 Mitglieder dieser gefährlichen Organisation wurden verhaftet, welche im Drogenhandel und der ausbeuterischen Prostitution tätig ist. Am Tag darauf konzentrierte sich die Berichterstattung der Presse ausschließlich auf Einzelheiten, die die Gefahr betreffen die von nigerianischen kriminellen Vereinigungen ausgeht. Besonders betont wurde die Bedeutung ihrer Zugehörigkeitsriten und die verübten Misshandlungen durch ihre Mitglieder. Dieses Ereignis sollte einerseits dazu dienen, von neuem das Thema der nigerianischen Bruderschaften ins Zentrum der politischen Debatten zu rücken und anderseits zu vertieftem Nachdenken über die Opfer dieser kriminellen Organisationen anregen – ganz besonders über die Frauen, die darin Opfer sexueller Ausbeutung sind.

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In diesem Zusammenhang soll betont werden, dass es die Zeug*innenaussagen einer jungen Frau aus Nigeria waren, die zu den Ermittlungen zur Bruderschaft Eiye führten. Sie leistete Widerstand und entschloss sich dazu, wichtige Erkenntnisse bezüglich der Zugehörigkeit ihrer Peiniger zu dieser kriminellen Zelle zu liefern. Die unterdessen befreite Frau wurde in einem der vielen Connection Houses zur Prostitution gezwungen. Diese Connection Houses finden sich versteckt in den Gassen um den historischen Markt Ballarò im Viertel Albergheria in Palermo.

Diese im Verborgenen stattfindende Prostitution ist ein wichtiges, nicht zu vernachlässigendes Thema. Die indoor Prostitution in Palermo hat in den letzten sechs Monaten enorm zugenommen. Innerhalb dieser Zeit soll die Zahl von zuvor 30 dafür genutzten Wohnungen auf 40 sogenannte Connection Houses gestiegen sein. Zudem kommen die zur Prostitution gezwungenen jungen Frauen aus Nigeria auch aus anderen italienischen Städten nach Palermo. Offenbar haben sie dafür erst kürzlich – ob freiwillig oder unter Zwang ist unklar – ihre bisherigen Aufnahmeeinrichtungen verlassen.

Das neue Sicherheits- und Immigrationsdekret Nr. 113/20181, das nun ein Gesetz ist, hat die besondere Schutzbedürftigkeit der Opfer von Menschenhandel noch verschlimmert. Die Aufhebung des humanitären Schutzstatus zusammen mit den geänderten Bestimmungen für die SPRAR* Einrichtungen haben die Ausgrenzung der Schwächsten am Rande der Gesellschaft zusätzlich befördert. Die neuen Vorschriften zur Immigration haben die Zahl Migrant*innen, die zur Gruppe der besonders Schutzbedürftigen gehören, erhöht, denn durch die neuen Regelungen sind sie noch mehr in den illegalen Arbeitsmarkt gezwungen, um überhaupt ihr Überleben zu sichern.

Wie viele vorausgesehen haben ist die Zahl der Personen mit illegalem Status gestiegen. Laut einer Studie des ISPI*, des Staatlichen Institutes für Internationale Politik, ist die Zahl der illegal sich auf italienischem Territorium aufhaltenden Personen zwischen Juni 2018 und Februar 2019 gestiegen – das aufgrund der fast nicht mehr existierenden Anerkennung des Asylstatus auf nur noch 2% bei gleichzeitiger geringer Anzahl von Rückführungen. Die Auswirkungen dieser restriktiven Politik ließen nicht auf sich warten. Den Daten des ISPI zufolge sind es nun 40.000 ausländische Mitbürger*innen mehr, die infolge der Ablehnung ihres Asylantrags keine gültige Aufenthaltsbewilligung haben. Die Umwälzungen im SPRAR-System und die praktische Abschaffung der Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen betreffen demnach insbesondere die ausländischen Mitbürger*innen, die am meisten Schutz und Hilfe benötigen: Opfer von Menschenhandel, in illegalisierten und prekären Situationen. Das Risiko, in kriminelle Kreise (wieder) eingegliedert zu werden, steigt auf diese Weise erheblich.

Das würde auch die spärliche Wirkung erklären, die der Erlass des Oba Ewuare II. auf die Bekämpfung des Menschenhandels und der sexuellen Ausbeutung hatte. Mehr als ein Jahr nach der „Befreiung“ aller Opfer von Menschenhandel durch den Herrscher von Edo State in Nigeria hat sich nichts geändert – die Frauen prostituieren sich weiter, um sich und ihre Familien zu ernähren. Laut Osas Egbon, Leiterin des Vereins „Donne di Benin City“ (dt. Frauen von Benin City) in Palermo, wären die meisten der in Palermo lebenden Frauen von ihrem in Nigeria geschworenen Zugehörigkeitseid befreit – trotzdem bleiben sie weiterhin in den Connection Houses.

Tatsächlich haben die Worte des Oba Ewuore II. keine wirksamen Maßnahmen zur Einbindung der Prostituierten in eine offizielle gesellschaftliche Arbeitssituation in Gang setzen können. Für viele bleibt diese Freiheit eine Illusion und kann am Rande der Gesellschaft gar nicht gelebt werden, ohne Alternativen und erst recht nicht ohne Aufenthaltserlaubnis, die es ihnen ermöglicht legal in Italien zu leben.

Die Kombination aus restriktiver Immigrationspolitik und mangelnder wirklicher Alternativen zur Prostitution, verbannt die Frauen in die Ausgrenzung und Unsichtbarkeit. Das führt sie zur traurigen Überzeugung, dass es für sie keine anderen Möglichkeiten gibt als den Verkauf ihres Körpers.

Zudem ist die indoor Prostitution in Palermo ein schwer identifizierbares, weil unsichtbares Phänomen. Im Unterschied zur Straßenprostitution, wo ein direkter Kontakt möglich ist zu den Frauen, ist hier die Kontaktaufnahme für die Sozialarbeiter*innen fast unmöglich. Dazu kommen schwer überwindbare Kommunikations- und Kontaktbarrieren. Das Vorgehen in der versteckten Prostitution braucht darum neue innovative Strategien und neue „Kommunikationskanäle“.

In diesem Zusammenhang soll die Zusammenarbeit für ein lokales Netzwerk zwischen Behörden, Nichtregierungsorganisationen und der nigerianischen Community wieder aufgenommen werden. Die Einbindung der Community in den Prozess der Unterstützung der Opfer des Menschenhandels würde eine Brücke schlagen zwischen den Opfern und dem am 18. Oktober 2018 von der Stadt gegründeten runden Tisch zur Bekämpfung des Menschenhandels. Auf der einen Seite wäre das ein Ort wo die ausgebeuteten Frauen sich mitteilen können und Hilfe erhalten. Auf der anderen Seite könnten die Behörden früher und besser auf das Phänomen der indoor Prostitution reagieren.

Der Verfasser dieses Artikels kommt zum Schluss, dass den nigerianischen Frauen nicht geholfen werden kann, ohne die nigerianische Community in die Planung einer wirksamen Strategie einzubeziehen. Furcht (wegen der undurchschaubaren Verhältnisse) darf kein Grund sein, die „vertrauenswürdige Personen“ der nigerianischen Diaspora nicht einzubeziehen. Denn eine solche Zusammenarbeit könnte rasch ein wirksames Netz gegen den Menschenhandel und zum Schutz von weiteren Opfern aufbauen.

In einer Einsatzgruppe gegen den Menschenhandel mit einer klar definierten Rollenverteilung würde die Erweiterung der Kompetenzen wertvolle Ressourcen erschließen. Unter diesem Blickwinkel kann das Wissen und die Erfahrung der Mitglieder und Vertreter*innen dieser Community nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ihr Wissen ist von Wert für eine wirksame Politik gegen den Menschenhandel. Sie haben wertvolle Kenntnisse über die Orte und Vorgehensweisen die zur Ausbeutung der Frauen aus ihrem Land führen und zudem kennen sie die meisten Mitglieder ihrer Gemeinschaft. Aus diesen Gründen könnten sie die wichtige Aufgabe übernehmen, Sozialarbeiter*innen im Rahmen von Projekten und Maßnahmen zum Schutz der Opfer innerhalb und außerhalb der Connection Houses zu beraten.

Innerhalb der nigerianischen Community gibt es bereits vertrauenswürdige Ansprechpartner: darunter der Verein „Donne di Benin City“, der bereits seit mehr als drei Jahren eine Schlüsselrolle in der Unterstützung der Opfer einnimmt. Zudem hat der Vertreter der Associazione Nigeriana Regione Sicilia, des „Nigerianischen Vereins Region Sizilien“, Samson Olomu, sein großes Engagement im Hinblick auf die Problematik gezeigt, indem er die illegalen Machenschaften seiner Landsleute öffentlich angezeigt hat.

Wir erkennen also die Notwendigkeit, sich von allen Zweifeln und Unsicherheiten zu lösen und einen ehrlichen Dialog in Gang zu setzen, um eine Zusammenarbeit möglich zu machen. Ein für alle Mal muss die „Rechtschaffenheit“ der Gesprächspartner sichergestellt werden, um sich der Auseinandersetzung zu stellen und um eine Zusammenarbeit in gegenseitigem Vertrauen möglich zu machen.

In diesem Sinne fragen wir uns, wann wohl die Gründung eines Netzwerk gegen den Menschenhandel möglich sein wird, wenn nicht jetzt unter so günstigen Umständen.

Guido Savasta

 

*SPRAR Sistema Protezione Richiedenti Asilo e Rifugiati: Einrichtungen zum Schutz von Asylbewerbern und Geflüchteten

*ISPI Istituto di Politica Internazionale: staatliches Institut für internationale Politik

 

Übersetzung aus dem Italienischen von Susanne Privitera