Migrant*innen rausschmeißen, Aktivist*innen einbuchten
Vorgestern hat nun auch das Staatsoberhaupt grünes Licht gegeben – für das ungerechteste und unmenschliche Gesetz seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Aus Erfahrung können wir sagen, dass dieses Gesetz uns allen schaden (und nicht etwa, wie es seitens unserer Regierung immer heißt, „allen voran die Italiener*innen“ fördern) wird, da es Rechte beschneidet und (abgesehen von Menschenhändlern und Mafiosi) niemandem Vorteile verschafft, sondern nur Hass, Elend und soziale Konflikte schürt.
Erste Auswirkungen des Gesetzes sind die Schließungen vieler Aufnahmezentren durch die Präfekturen sowie flächendeckende Kontrollen, um jene Bewohner*innen der Zentren aufzuspüren und vor die Tür zu setzen, die kein politisches Asyl, sondern eine humanitäre Aufenthaltsgenehmigung haben. In Palermo wurden in der vergangenen Woche drei Aufnahmezentren geschlossen, andere haben ihren Nutzungszweck modifiziert. Das Zentrum Azad-Elom, das zunächst als Einrichtung für minderjährige Geflüchtete diente und dann außerordentliches Aufnahmezentrum wurde, „enthält“ heute über 140 Asylbewerber*innen. In anderen sizilianischen und italienischen Städten sieht es ähnlich aus. Wie man es sich hätte denken können, zerstört das Gesetz nicht nur das ohnehin fragile Aufnahmesystem, sondern führt auf Ebene der Kommunen und der Institutionen zu unzähligen Problemen: Offene Stellenausschreibungen werden zurückgezogen, Verträge unilateral gekündigt und Arbeitsplätze vom einen auf den anderen Tag gestrichen. In einer solchen Situation lassen freilich auch illegale Machenschaften nicht lange auf sich warten: In Palermo, Alcamo, Marsala und anderen Städten sollen Verantwortliche der Einwohnermeldeämter beschlossen haben, einfach keine Meldungen ausländischer Bürger*innen mehr anzunehmen.
In den vergangen Tagen hatten wir die Ehre, Adam, Ibra, Mohamed, Rajib, Demba, Fathi, Adrea, Tiziana, Marco, Irene und Fulvio (Namen von der Redaktion geändert) zu treffen – junge Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen, die dennoch alle von diesem verfassungswidrigen Gesetz betroffen sind.
Adam schläft nun in einem der vielen „Fünf-Sterne-Hotels“, wie es Politiker*innen aus Propagandazwecken oft formulieren: draußen, auf einer Matratze in der Nähe des palermitanischen Hauptbahnhofs. Adam ist 19 Jahre alt und geht jeden Morgen gepflegt und motiviert zur Schule, während er nachmittags in einem der zahlreichen Wettbüros der Stadt („das einzige, aus dem sie mich nicht sofort verjagt haben“) um Spenden bittet. Ob es ein Mittag- oder ein Abendessen geben wird, weiß Adam nie. Waschen ist dank einiger Hilfsorganisationen noch möglich. Auch Rajib geht bei diesen Initiativen ein und aus. Ein paar Cent kratzt er sich außerdem als Wächter vor einem Blumenladen zusammen. Ibra und Mohamed hingegen haben eine „radikale“ Entscheidung getroffen: Sie sind dem unsichtbaren Heer jener beigetreten, die sich bei der Olivenernte in Campobello ausbeuten lassen. Doch sie sind zu spät gekommen – die Ernte ist vorbei und nun haben sie nicht einmal mehr Geld, um Essen zu kaufen. Sie warten nur darauf, dass die Sklavenkarawane sich in Bewegung setzt und an einen anderen Ort zieht. Ibra wirkt klarer und gefasster als sein Freund. Vielleicht deswegen, weil Mohamed sofort nach seiner Ankunft Unterstützung vom psychologischen Dienst in Palermo bekam, um die traumatischen Erinnerungen an das libysche Inferno zu verarbeiten, die ihn seither nicht eine Nacht in Frieden lassen. Als wir ihn treffen, geht es ihm nicht gut. Aber das Gesetz will nicht, dass Mohamed Hilfe und Unterstützung bekommt, um diese Hölle zu vergessen. Das Gesetz will, dass er in dieser Hölle bleibt.
Demba hat uns angerufen, weil er uns ein letztes Mal umarmen wollte. Wir hatten versucht, ihn in rechtlichen Fragen zu unterstützen, hatte ihm das Zentrum doch keinerlei juristische Hilfe angeboten. Demba musste seine Koffer packen. Bevor er in der Bus nach Rom einsteigt, sagt er: „Das Leben hat mir nichts geschenkt. Im Gegenteil, es hat mir vieles weggenommen. Meine Eltern, meinen kleinen Bruder. Ich wollte das Leben ändern. Ich wollte ein bisschen glücklich sein, aber Italien will, dass wir Schwarzen unglücklich sind. Italien will nur unseren Schweiß, unsere Wut. Aber das kriegt ihr von mir nicht, den Triumph gönne ich den Rassisten nicht. Ich kann euch das geben, was ich bin, ein junger Mann voller Lebenslust, denn ich bin des Todes müde und ich danke euch für das, was ihr mir gegeben habt.“ Ich schaffe es nicht, Dembas Blick zu erwidern.
Fathi hat es noch „am besten“ angetroffen. Der Junge mit dem aufgeweckten Blick, dessen Fröhlichkeit und Lächeln uns sofort in seinen Bann gezogen haben. Genauso wie Tiziana, seine ehemalige Mentorin, die ihn kennenlernte, als er noch nicht volljährig war, und ihn durch das erste schwierige Jahr im Aufnahmesystem mit der notwendigen Dosis Menschlichkeit begleitet hat. Und jetzt, da Fathi das Aufenthaltsrecht im Zentrum von Partinico verloren hat, ist er bei Tiziana untergekommen und wartet hier auf bessere Zeiten. Fathi ist einer der wenigen, die eine*n pflichtbewusste*n und zuverlässige*n Mentor*in haben. Unsere Liste mit Fällen schlechter Betreuung und alleingelassenen Minderjährigen ist sehr lang, vor allem in den Gebieten um Agrigent, Trapani und Enna.
Irene, Andrea und Fulvio hingegen haben ihre Arbeit verloren und warten seit über einem Jahr auf ihr Gehalt. Andrea ist verheiratet und hat Kinder, Irene ist alleinerziehende Mutter, Fulvio hatte das Datum für seine Hochzeit schon festgelegt. Alle drei haben sich persönlich engagiert, um den jungen Menschen in ihrer Obhut einen würdigen Empfang zu bereiten. Heute haben sie, wie viele andere, nichts in der Hand und sind verzweifelt, anders gewiss als die Migrant*innen selbst, nicht minder aber von Unmenschlichkeit betroffen. Diese Unmenschlichkeit schmeißt Migrant*innen aus den Aufnahmezentren raus und schickt Italiener*innen, die ihre Arbeit verlieren, nach Hause oder steckt sie, wenn sie Aktivist*innen sind, gleich in den Knast. Diese Regierung will all jene um jeden Preis schwächen, die sich gegen die Unmenschlichkeit aufgelehnt und im Stillen für die gekämpft haben, denen es schlecht geht; die Leben auf dem Meer gerettet und versucht haben, den Zukunftslosen Zukunft zu geben. Die Strategie besteht darin, die Engagierten solange zu verunglimpfen, zu verfolgen und auch psychisch zu zerdrücken, bis niemand mehr übrig bleibt, um für die gute Sache zu kämpfen. Zum Glück aber haben uns die Geschichten der jungen Menschen und das Netz ihrer Unterstützer*innen die Gewissheit vermittelt, dass es Widerstand gegen das faschistische Abdriften unseres Landes gibt. Dieser Widerstand zeigt sich auch in der Solidarität mit den unter Beschuss stehenden NGOs, in der Stellungnahme der Psycholog*innen und Sozialarbeiter*innen, in den Aufrufen zahlloser Organisationen und Hilfseinrichtungen, in erneuten, allen Widrigkeiten trotzenden Seenotrettungsmissionen einiger NGOs.
Abschließend sollten wir uns noch einmal in Erinnerung rufen, dass dieses Gesetz nahezu vom gesamten Parlament gewollt worden ist. 336 Abgeordnete haben mit „Ja“ gestimmt und der Präsident der Republik hat es unterschrieben, obwohl es offenkundig verfassungswidrige Elemente enthält. Nun ist es an uns, aufzustehen und nicht nur, wie wir es in der Vergangenheit oft getan haben, die Türen zu öffnen, sondern unermüdlich zu versuchen, die Dinge zu erzählen, wie sie sind, und Geschichten wie die Dembas und der Anderen zu verbreiten. Die einzige Möglichkeit, den Tod zu schlagen, ist das LEBEN.
Alberto Biondo
Borderline Sicilia
Übersetzung aus dem Italienischen von Laura Strack