Der Krieg, der mit Massenablenkungswaffen geführt wird
Im Zeitalter der sozialen Netzwerke hat sich die Politik von den öffentlichen Plätzen ins Netz verlegt und beeinflusst mit Massenablenkungswaffen die Wählerstimmen und vor allem das Denken und die Wahrnehmung der Realität
Die Geflüchteten sind der Feind geworden, der mit allen Mitteln bekämpft werden muss und so sind in unseren Städten Schläge, Gewalttätigkeiten, Missbrauch, Schüsse und Einschüchterungen an der Tagesordnung, gegen Schwarze, Roma und all jene, die nicht in den ethnischen Kanon passen, der von den neuen Faschist*innen vorgegeben wird.
Zu dieser Art von Gewalt kommt der Versuch hinzu, diejenigen anzugreifen, die sich dagegen wehren, Solidarität zu kriminalisieren und Menschen oder Organisationen zu verleumden, die niemanden einfach auf der Straße oder im Meer sich selbst überlassen wollen, da Menschenrechte und Freiheit für alle und jeden heilig sind.
Genau mit dieser zielgerichteten Gehirnwäsche erreicht die Regierung Zustimmung für die Entscheidung, die Häfen zu schließen, zuerst für Nichtregierungsorganisationen und jetzt auch für Militärschiffe, und so den Tod von Hunderten von Menschen zu verursachen.
Der größte Teil der Medien wiederum erleichtert diesen Prozess, indem sie, statt die fortgesetzten Widersprüche und Lügen herauszuarbeiten und die Propaganda, die hinter jeder Stellungnahme steht, zu entlarven, jedem Tweet oder Post auf Facebook von Politiker*innen nachjagen und ihnen ein Echo verleihen. Die Politiker*innen ihrerseits gebärden sich mehr als halbstarke Jugendliche, die krankhaft Mobbing betreiben, denn als Erwachsene, die der Verantwortung ihrer Rolle gerecht werden.
Warum räumt man in den Medien den Stellungnahmen ignoranter Politiker*innen, die über Libyen sprechen, mehr Raum ein, als den Stellungnahmen von internationalen Organisationen, die verdeutlichen, dass die libyschen Zentren an Konzentrationslager erinnern und dass Libyen in keiner Weise als sicherer Hafen betrachtet werden kann?
Warum spricht man nicht über die Menschen, die ankommen, über ihre Geschichten, die sie in Libyen erleben, warum nimmt man die Stellungnahmen dieser oder jener internationalen Organisation über die nie zuvor gesehenen Lebensbedingungen dieser Menschen lediglich in einer Kurzmeldung auf?
Die Konzentrationslager, die Museen wurden, damit das, was im Zweiten Weltkrieg geschah, nie wieder passiert, genügen offensichtlich nicht, die Erinnerung in Europa lebendig zu halten und konsequent zu handeln.
Die Massenablenkungswaffen haben ihr Ziel erreicht, wenn sie sogar Fotos und Videos von toten Kindern und Frauen im Meer für falsch erklären. Tatsachen haben jeden Wert verloren und die Abspaltung von der Realität ist komplett.
Was den Fall Vos Thalassa betrifft, zog man es vor, eine Geschichte über das Chaos an Bord zu erfinden und damit die Tweets des Innenministers neu zu beleben, der Handschellen fordert und damit Rolle und Funktion der Richter*innen umgeht, anstatt die Rechtsverletzungen, die vor sich gingen, anzuzeigen (insoweit, als dass das Eingreifen des Präsidenten der Republik erforderlich wurde). Die beiden Jungs wurden zunächst in den Hotspot von Trapani gebracht, gleich danach jedoch wurden sie in der Nacht festgenommen und ins Gefängnis gebracht, im Stillschweigen aller oder jedenfalls fast. Die Worte des Sprechers der Firma, die Vos Thalassa kontrolliert, wurden überhaupt nicht berücksichtigt. Dieser hat offen gesagt, dass es „keinen Aufstand an Bord gab, dass die Situation von den Zeitungen aufgebauscht worden war, dass es keine Meuterei gab und niemand zusammengeschlagen worden war“.
Unterdessen werden rassistische Straftaten unter den Teppich gekehrt, wie die gegen ein Roma-Kind, auf das in Rom geschossen wurde und das jetzt vielleicht für immer gelähmt bleibt.
Das Fernsehen und die Zeitungen zu bitten, sich gegen die Weisungen zu wenden, ist zu viel verlangt, das ist uns bewusst, aber die Wahrheit zu verstecken ist ebenfalls sträflich, das bedeutet sich mitschuldig zu machen. Unsere Politik begünstigt Schmuggel und Schmuggler und wir schaffen es nur die Festnahmen der sogenannten Schleuser auf der Titelseite bringen, die jedoch größtenteils lediglich Migrant*innen sind, die ans Steuer der Boote gezwungen wurden. Die echten Schleuser genießen bei den europäischen Regierungen Straffreiheit, ihnen und den libyschen Milizen haben wir den Schlüssel zur Hölle für viele Frauen, Männer und Kinder gegeben. Skrupellosen Menschen wie unsere Politiker*innen.
Allein in der letzten Woche gab es eine sehr hohe Zahl an Toten. Wir konnten das von freien Journalist*innen erfahren, die von Afrika aus versuchen, die Wahrheit zu erzählen. Die wenigen auf dem Meer verbliebenen NGOs sind die einzige Bastion der Wahrheit, unbequeme Zeug*innen, die es um jeden Preis auszuschalten gilt. Wenn es Openarms auf dem Meer nicht gegeben hätte, wäre Josefa jetzt mit den anderen gestorben und die Wahrheit mitten im Meer begraben. Die libysche Küstenwache musste jedoch zugeben, die Mutter und das Kind, die beide an Bord des gleichen Schlauchbootes wie Josefa waren, im Meer gelassen zu haben. Letztere hatten sie angeblich nicht bemerkt. Aber diese Eingeständnisse haben keinerlei Gewicht inmitten des Getöses, das diejenigen veranstalten, die einen Aufschrei zu ‚fake news‘ veranstalten, zu den NGOs, die von Soros finanziert werden, zur Invasion Europas und zu all dem Blödsinn, für den die Geschichte dieser kranken Zeit eines Tages die Rechnung präsentiert bekommen wird.
Und die Kosten für diese ganze Inszenierung? Marineschiffe und Schiffe der Küstenwache fahren Tag für Tag aufs Meer hinaus, ohne eine einzige Person zu retten, sondern lediglich Schiffe mit Migrant*innen an Bord begleiten und Nahrung für diejenigen anliefern, denen die Regierung die Anlandung im Hafen verweigert. Eben diese Militärs werden zudem in Verlegenheit gebracht, denn, um den Befehlen zu gehorchen, sind sie gezwungen, das heilige Prinzip der Seenotrettung zu missachten. Verschwendete Gelder, um Lügengebäude aufzubauen, die wir Italiener*innen mit irgendwelchen Steuern bezahlen müssen, die uns stillschweigend auferlegt werden, die vielleicht auch durchgeboxt werden, indem man den Migrant*innen die Schuld dafür gibt.
Keiner fragt sich, warum seit kurzem, seitdem die neue Regierung im Amt ist, die Anlandungen nachts erfolgen. Warum nimmt kein*e Politiker*in der Opposition, statt hysterische Nervenzusammenbrüche vor der Kamera zu bekommen, seine eigentliche Aufgabe wahr und stellt Anfragen, um die Wahrheit zu finden? Und all die Menschen, die an unseren Küsten ankommen? Manchmal taucht die Meldung auf von einem kleinen Schiff, das ankommt, aber keiner sagt, dass seit Anfang des Jahres allein auf Lampedusa mehr als dreitausend Tunesier*innen angekommen sind, zu denen noch all die Menschen dazugezählt werden müssen, die an der Küste vor Trapani, Syrakus und Ragusa ankommen. Menschen, die, wenn sie abgefangen werden, in Hotspots enden, um dann mit einem Erlass für eine zeitversetzte Zurückweisung auf die Straße gesetzt zu werden. Aber das darf natürlich nicht gesagt werden. Denn die Heuchelei des Systems, das Illegale produziert, die wiederum das Heer derer vergrößern, die auf den Feldern wie Sklav*innen ausgebeutet werden, darf nicht entlarvt werden. Genau damit wird der chronische Mangel der Regierungen an Lösungen für den Arbeitsmarkt ausgeglichen. Auch die jetzige Regierung benötigt die Unsichtbaren, und wenn sie nachts ankommen oder ohne dass darüber geredet wird, hat sie alles für sich und ihre Propaganda gewonnen.
Allein in der letzten Woche haben 20 Nordafrikaner*innen den Hotspot von Trapani mit einem Zwischenhalt in Palermo verlassen, um dann zu anderen Zielen weiterzugehen. Mittlerweile haben sich die Aufenthaltszeiten in den Hotspots (mit der damit verbundenen Zahlung von Geldern) bedeutend verlängert, auch gegen geltende Vorschriften.
Wir werden uns nicht mit dieser Barbarei arrangieren und wir wissen, dass es Leute wie uns gibt, die nicht im Schweigen verharren möchten. Auch deswegen haben wir in Sizilien die Karawane „Abriendo Fronteras“ empfangen, eine Gruppe, die die Grenzen niederreißen, die Häfen öffnen und wieder Wahrheit, Rechte, Gerechtigkeit und Humanität auf die Agenda der europäischen Politik setzen möchte.
Alberto Biondo
Borderline Sicilia
Übersetzung aus dem Italienischen von Jutta Wohllaib