Wider die Klischees – Geschichten gelungener Integration

Am 4. Juli hatten wir das Vergnügen, ein paar Worte mit Stephan (Name von der Redaktion geändert) zu wechseln, einem 23 Jahre jungen Mann aus Togo. Stephan ist seit Juli 2016 in Italien. Nachdem er zunächst in zwei sizilianischen Aufnahmezentren gewohnt hat, ist er nun Teil des Projekts „Refugees Welcome“, das Migrant*innen, die die beiden Stadien des staatlichen Aufnahmesystems bereits durchlaufen haben, aber noch Unterstützung auf dem Weg in ein vollkommen selbständiges Leben brauchen, an lokal ansässige Gastfamilien vermittelt.

Wir sitzen mit einer Granita, dem typischen sizilianischen Wassereis, in einer Bar mit Meerblick in Syrakus. Stephan erzählt uns von seiner turbulenten Ankunft in Italien: „Als ich hier angekommen bin, haben sie mich direkt in den Knast gesteckt“, beginnt er mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen. Bei seiner Landung im Hafen von Pozzallo wird er verhaftet, der Beihilfe zur illegalen Einwanderung beschuldigt. Sein Name verlängert somit die Liste derer, die gegen ihren Willen zu sogenannten Schleppern gemacht werden: Von den libyschen Menschenhändlern unter den Migrant*innen, die über das Meer fahren wollen, ausgewählt, werden diese jungen Männer dazu gezwungen, die überfüllten Boote über das Wasser zu navigieren.

Zwei Wochen muss Stephan im sizilianischen Gefängnis verbringen. Als er freikommt, ist er ganz auf sich allein gestellt, ohne dass ihn jemand über seine Rechte und Hilfsansprüche aufgeklärt hätte. Er beschließt, nach Pozzallo zurückzukehren. Durch einen glücklichen Zufall trifft er dort eine Frau, die ahnt, in was für einer prekären Situation sich der junge Mann befindet, ihm zu essen gibt und mit den Organisationen des Projekts „Open Europe“ (Oxfam, Borderline Sicilia und Waldensische Diakonie) in Kontakt setzt. Diese verschaffen sich zunächst einen umfassenden Eindruck von seiner Situation und bringen ihn dann nach Pachino, erst ins dortige Kurzzeitaufnahmezentrum der Waldensischen Diakonie, anschließend in das Aufnahmezentrum „Stella Maris“.

Auf die Frage, wie es ihm in Pachino ergangen sei, antwortet Stephan, dass er alles in allem gute Erfahrungen gemacht habe, obwohl die Stadt sehr klein und es in der ersten Zeit nicht leicht gewesen sei, sich unter den Bewohner*innen des Zentrums Respekt zu verschaffen. In den 15 Monaten, die Stephan in Pachino verbringt, besucht er zweimal wöchentlich die Italienischschule und beginnt dank einer glücklichen Begegnung auf dem Dorfplatz eine ehrenamtliche Tätigkeit beim Roten Kreuz und später auch bei der Caritas. Als Volontär arbeitet er als Ersthelfer in verschiedenen Kontexten in Südostsizilien und nimmt regelmäßig an von der Caritas betreuten Essens- und Kleiderausgaben in Sozialwohnungen teil.
Als sein Aufenthalt in Pachino zu Ende geht, beginnt Stephan, auf dem Land zu arbeiten: „Zunächst war mir gar nicht klar, wie sehr ich ausgebeutet wurde. Inzwischen habe ich das verstanden“, sagt er im Bezug auf seinen Arbeitgeber, der ihn drei Monate lang zwölf Stunden am Tag und sieben Tage die Woche arbeiten lässt. Stephan denkt zunächst, das sei normal. Doch trotz dieser Ausbeutungserfahrung, der sexuellen Belästigungen, die er seit seiner Ankunft auf Sizilien erleiden muss und einer HIV-Fehldiagnose, mit der Stephans Arbeitgeber seine Entlassung rechtfertigt, lässt der junge Mann den Kopf nicht hängen, sondern tritt dem Netzwerk von „Refugees Welcome“ bei.

Seit nunmehr sechs Monaten lebt er bei L. in Syrakus. Mit L. verbindet Stephan inzwischen nicht mehr nur das gemeinsame Wohnen, sondern auch eine Freundschaft: „Ich habe mein Zimmer, sie hat ihres. […] Ich sehe jetzt, dass meine Beziehung zu L. viel … Sie behandelt mich wie einen Sohn.” Die beiden verbringen auch außerhalb der gemeinsamen vier Wände Zeit miteinander, zum Beispiel, wenn sie gemeinsam mit Freunden essen oder ausgehen. Stephan ist überrascht von diesen erfreulichen Entwicklungen, denn zunächst hat er befürchtet, dass das Zusammenleben mit einer unbekannten Person zu gewissen Problemen führen könnte. „Das Projekt ist vorbei, aber schon vorher, als ich angefangen habe, zu arbeiten, haben wir begonnen, alles genau aufzuteilen … das Haus, das Wasser, die Einkäufe. So können wir beide tun, was wir möchten”, erzählt er uns. „Ich bin am liebsten unabhängig. Also teilen wir die Dinge auf und jeder kann sie handhaben, wie er möchte.“

Die Arbeit, von der Stephan spricht, ist sein Job als Kulturmittler, den er nach sechs Monaten Ausbildung bei der Stiftung Giorgio La Pira ausüben darf. Da Stephan viele verschiedene Sprachen spricht, ist es seit seiner Ankunft in Italien immer wieder zu Situationen gekommen, in denen er als Übersetzer und Dolmetscher helfen konnte. Im Laufe der Ausbildung hat er darüber hinaus die Komplexität und Schönheit der Sprach- und Kulturmittlerrolle entdeckt: „Du musst ein Allrounder sein, dich um alles kümmern. Mir hat es Spaß gemacht, mit Kindern, Jugendlichen und Familien zusammenzuarbeiten.“ Seine vorherigen Erfahrungen als Volontär haben ihm dabei geholfen, die nötigen Instrumente und Haltungen für seine aktuelle Arbeit zu entwickeln.

Heute steckt Stephan mitten in seiner Ausbildung zum Vermessungstechniker, später möchte er Architektur studieren. Er fühle sich wohl in Syrakus, sei aber auch dazu bereit, in eine andere italienische Stadt zu ziehen, um an die Universität gehen zu können. Er spare schon fürs Studium. „Ich denke schon, dass ich Glück gehabt habe. Ich weiß es nicht … Jedenfalls haben viele meiner Freunde größere Probleme”, schließt Stephan seinen Bericht. Dennoch bleibt ein grundlegendes Gefühl der Unsicherheit: Rechtlich gesehen ist er Berufungskläger gegen den Negativentscheid der Asylkommission. Es sei eine große Belastung, alle sechs Monate die Aufenthaltsgenehmigung erneuern zu müssen, ein Zeitraum, der durch die Trägheit der italienischen Bürokratie und des italienischen Rechtswesens ohnehin noch weiter verkürzt werde.

Dadurch, dass ihm keinerlei Asyl oder internationaler Schutz gewährt wurde, wird seine Situation als Auszubildender oder Arbeitssuchender erschwert. Langfristig das Leben zu organisieren ist so kaum möglich: „Ich merke, dass ich langsam beginne, meinen eigenen Weg zu gehen. Aber alle sechs Monate wird alles, was du machst, auf Null gesetzt.“

Nach dem Gespräch verabschieden uns von Stephan, der sich im gleichen Moment auf seinen Motorroller schwingt, unterwegs zum nächsten seiner zahllosen Termine.

Vittoria Fiore

Beatrice Mariottini

Borderline Sicilia

Aus dem Italienischen übersetzt von Laura Strack