Im Namen der Sicherheit werden Menschen nieder gemacht

Es gibt viele Arten, eine Person nieder zu machen und die hinterhältigste Art und Weise wird von der Gesellschaft, in der wir leben, angewandt. Sie besteht darin, im Namen der Sicherheit, viele Menschen auszuschließen. Während wir immer dieselbe Platte des Invasionsalarms abspielen, liefern wir die Migrant*innen ihren Peiniger*innen aus, und zwar der libyschen Miliz sowie dem türkischen Präsidenten. Im Namen der Sicherheit lassen wir weiterhin zu, dass tausende Geflüchtete in aller Stille im Meer ertrinken.

Auch innerhalb der nationalen Grenzen kennen die Mechanismen der Ausgrenzung keinen Halt. In Campobello, im bekannten Zeltlager von Erbe Bianche, haben einige junge Männer entschieden zu bleiben. Der einzige Überlebensweg besteht darin, sich von irgendeinem Bauern ausbeuten zu lassen, der jeden Morgen beim Zeltlager vorbei kommt um ihnen Arbeit anzubieten.

Vor drei Tagen haben wir den Bewohner*innen des Zeltlagers einen Besuch abgestattet. Bereits als wir aus dem Auto ausgestiegen sind, kroch uns die dort herrschende Kälte in die Knochen. Als ob die Kälte gleich klarstellen wollte: hier wird sehr gelitten. Die Umarmungen und das Lächeln der Männer haben uns wieder gewärmt. Sie haben immer und trotz allem ein Lächeln übrig. A. hat eine Dusche unter freiem Himmel genommen, sein Freund brachte ihm einen Kübel mit aufgewärmten Wasser. Während wir die Szene beobachteten, mussten wir daran denken, wie viel Menschlichkeit wir gerade verlieren, oder bereits verloren haben. Für Personen, die unter so unmenschlichen Bedingungen wie hier in Erbe Bianche leben, gibt es nur ein Kampfmittel, die Solidarität. Zum Glück helfen sie sich gegenseitig: wer nicht arbeitet, übernimmt das Kochen, wärmt das Duschwasser und wartet bis die Arbeitenden zurückkommen, um mit ihnen zusammen am Feuer zu sitzen.

Aber genau dieses offene Feuer ist eine ständige Gefahr, aufgrund des eingeatmeten Rauchs – oft im inneren der Zelte – sowie aufgrund des Brandrisikos. Obwohl ein offener Runder Tisch mit den Vereinen eingerichtet wurde, haben die Institutionen nur eine Lösung für das Zeltlager gesehen. Eine Verfügung des Bürgermeisters ordnet an, dass das Lager binnen 20 Tagen, bis zum 12. Februar 2018, geräumt werden muss. Natürlich wird keine alternative Lösung angeboten, und die einzige Konsequenz ist, dass die Unsichtbarkeit dieser Menschen nur noch größer wird, als sie sowieso schon ist.

Es wird nur daran gedacht, die wohlhabenden Grundstücksbesitzer*innen zu schützen, die diese Migrant*innen brauchen, die mittlerweile hochspezialisiert darin sind, die Bäume zu beschneiden und die Felder zu bearbeiten. Trotzdem bekommen sie weder einen Arbeitsvertrag noch eine Unterkunft. Keine Gewerkschaft denunziert diese Situation und keine Institution kotrolliert die Ausbeuter*innen. Die bevorstehende Räumung des Lagers wird jene glücklich machen, die an der Rückgewinnung des Areals arbeiten. Die nötigen Gelder dafür wird Rom bereitstellen. Und möglicherweise wird dies die x-te Geldverschwendung sein, wie die 50.000 Euro, die zur Ordnung des nicht genutzten Areals der ehemaligen Ölmühle von Fontanedoro ausgegeben wurden.

Bei unserer Ankunft hörten wir nicht nur von der Anordnung der Räumung, sondern wir sahen, dass einige Zelte bereits mit der Aufschrift „leer“ gekennzeichnet wurden. „Leer“ soll heißen, es kann abgerissen werden. Die bewohnten Zelte wurden von den Behörden hingegen nummeriert, um die Personen zu identifizieren, die darin leben. Dieses Vorgehen erinnert an andere Lager, in denen die Insassen am Ende verbrannt wurden, aber mit dem Unterschied, dass im Moment in Campobello die Nummern auf die Zeltwände geschrieben werden und nicht auf die nackte Haut der Menschen.

Und verbrannt wird hier im Moment, neben der Hoffnung, nur Holz, um gegen die Kälte anzukämpfen.

 

Alberto Biondo

Borderline Sicilia

 

Aus dem Italienischen von Elisa Tappeiner