Die Ruhe vor dem Sturm? Ein Besuch in Salinagrande
Das ist einer der Fragen, die wir uns nach dem Besuch im CARA von Salinagrande stellen…Vielleicht, denn im Moment ist es recht ruhig, die Bewohner, die wir gesprochen haben, haben sich kaum über die Unterbringung beschwert, im Gegenteil, sie zeigten sich zufrieden mit der derzeitigen Situation, da das Verhältnis mit der Leitung und den Ordnungskräften „normal“ sei. Die Mitarbeiter des Heimes seien nach Aussagen der Flüchtlinge sehr hilfsbreit bei der Zusammenstellung der Dokumente für die Anhörung und, im Falle der Ablehung, auch bei der Einreichung einer Klage.
Doch diese Situation, hoffen wir, dass sie lange anhält, rührt von einer erhöhten Aufmerksamkeit des Betreibers her, ist aber auch den Belegungszahlen geschuldet: im Moment befinden sich 260 Asylsuchende im CARA, unter ihnen nur fünf Frauen. Es gibt keine Familien, keine Minderjährigen. Viele von ihnen kommen aus Guinea, Mali, Pakistan und Bangladesh. Wir hatten auch die Möglichkeit, mit einigen Mitarbeitern des CARA zu sprechen, die uns bestätigt haben, dass die Situation derzeit so angenehm ist. Sie hätten auch einige Bauarbeiten begonnen, um den Flüchtlingen z.B. das Zubereiten eigener Speisen, die ihren Gewohnheiten entsprechen, zu sichereren Bedingungen zu ermöglichen. Bis jetzt mussten sich die Migranten, die nicht das Essen des Zentrums essen, sondern sich etwas eigenes kochen wollten, irgendwoher elektrische Herdplatten besorgen und in ihren Zimmern kochen, was nicht den Sicherheitsstandards entspricht. Um diesem Zustand abzuhelfen richtet die Leitung nun ein Zimmer mit Kochgelegenheiten ein, in dem ein Mitarbeiter zur Überwachung anwesend sein wird.
Asylsuchenden, die Familienangehörige in Italien haben, wurde ermöglicht, dort zu wohnen und gegebenenfalls zu arbeiten und für die Anhörung zurückzukommen.
Die Arbeitssuche bleibt das größte Problem der Migranten, die ihre Dokumente erhalten haben. Nur sehr wenige finden eine Arbeit und viele sind gezwungen, für wenige Euros in der Landwirtschaft in der Provinz Trapani zu arbeiten.
Ein weiteres Problem im Zentrum ist der Mangel an Plätzen für Kranke: wir haben von den Mitarbeitern erfahren, dass es einige herzkranke Migranten und sogar einen chronisch Nierenkranken gibt, um den sich das Rote Kreuz kümmert. Aber natürlich ist das CARA nicht der richtige Platz für sie, zumindest müsste sich eine geeignete Unterbringung für chronisch Kranke (wie in o.g. Fall) finden, die nicht einmal auf die Aufnahme in einem SPRAR-Projekt hoffen dürfen.
Das wurde uns auch von der Leiterin des Servizio Centrale SPRAR, Frau Di Capua, bestätigt, die wir bei einer Veranstaltung zu Flüchtlingen in Palermo treffen konnten. Sie hob hervor, dass in etwas schwereren Fällen von chronischen und auch psychischen Krankheiten für diese Asylsuchenden keine Plätze in einem SPRAR vorhanden sind.
Bis heute wurde noch keine richtige Lösung für diejenigen gefunden, die nicht nur Flüchtling, sondern auch krank sind. Es gibt keine Einrichtungen, und wenn es welche gibt, so sind die Plätze viel zu wenige, um den wirklichen Erfordernissen zu entsprechen. Ein Staat, der sich zivilisiert nennt, müsste sich diesem Problem stellen.
Während des Treffens mit Frau Di Capua wurde uns berichtet, dass mehr als 100 unbegleitete Minderjährige, die sich auf Lampedusa befinden, heute oder morgen umverteilt werden sollen. Desweiteren warte man auf frei werdende Plätze in CARAs, um die in Lampedusa angelandeten Flüchtlinge dorthin zu verlegen.
Das Innenminsterium hat nach der Erhöhung der SPRAR-Plätze im Dezember 2012 um 702 Betten Ende Mai 2013 weitere 800 Plätze geschaffen, um Lampedusa nicht „ertrinken“ zu lassen. So werden auch zwischen heute und morgen 280 in den letzten Tagen auf Lampedusa angelandete Migranten direkt in ein SPRAR-Projekt verlegt, während 80 andere Flüchlinge ins CARA von Mineo verlegt werden, um Platz für die noch anwensenden Migranten im Auffanglager Lampedusa zu schaffen.
Hier zeigen sich zwei schwerwiegende Probleme auf:
– Erstens: die willkürlich Verteilung auf SPRAR-Plätze (das bestätigten auch die Mitarbeiter des CARA, die uns sagten, dass die zuletzt Gekommenen die „Glücklichen“ sind, da sie, damit Lampedusa „geleert“ werden kann, sofort dorthin verlegt werden). Doch es gibt keinen ernsthaften Plan zu den Verlegung, es bleibt immer ein Handeln im Notstand, obwohl die Leiterin des Servizio Centrale SPRAR das Innenministerium schon seit längerem mehrfach angefragt hat, endlich einen Plan, ein Programm zu entwerfen, das diesen Namen auch verdient.
– Zweitens haben wir feststellen können, dass sich niemand für die Fälle der „DUBLINER“ interessiert, die nach Italien zurückgeschoben werden, oder es zumindest hierfür keinerlei Plan gibt. Wir haben erfahren, dass das Innenministerium für die Jahre 2014-2016 5.000 SPRAR-Plätze finanzieren will – macht man eine einfache Rechnung zeigt sich, dass es schon heute 4.500 besetzte Plätze gibt [mit den neuen seit Mai 2013, Anm. borderline-europe], so dass die Lösung für die DUBLIN-Fälle nicht das SPRAR sein kann [mit nur 500 weiteren Plätzen, sollten die Anlandungen so weiter gehen, Anm. borderline-europe] – wo also sollen diese Rückkehrer bleiben? Wie wird diese Rückkehr gemanagt? Sollen sie irgendwo eingesperrt werden?
Auf diese Fragen haben wir keine Antworten, wir hoffen, dass es schnellstmöglich ein Projekt und Programme auch für diese Brüder und Schwestern geben wird!
Alberto Biondo für Borderline Sicilia
Aus dem Italienischen von Judith Gleitze