Die Zeugenaussagen von weiteren Flüchtlingen, die von Soldaten bestohlen wurden
Auch wenn es als „humanitärer Einsatz zur Rettung von Flüchtlingen nach den tragischen Ereignissen des 3. und des 11.Oktober“ beworben wurde, so ist der Auftakt der Opration „Mare Nostrum“ eher gezeichnet von den Anzeigen von ca. 30 syrischen Flüchtlingen, die an Bord der Militärschiffe bestohlen wurden.
Die Flüchtlinge, die auf See gerettet und dann auf die „Chimera“ gebracht worden waren, haben direkt nach ihrer Ankunft in Porto Empedocle Anzeige bei der Polizei von Agrigento erstattet: das italienische Militär habe ihnen Geld und Schmuck, welchen sie bei sich führten, abgenommen. Es wurden zwei Untersuchungen eröffnet: eine vor der Staatsanwaltschaft Agrigento und eine vor der Militärstaatsanwaltschaft.
Ein somalischer sowie ein syrischer Flüchtlinge berichtet uns von ebenso schwerwiegenden Tatbeständen, sie wurden am 19.10. von einem italienischen Militärschiff gerettet. An Bord spielte sich die gleiche Geschichte ab wie bei den anderen Migranten. Eine Gruppe von ca. 230 Flüchtlingen war am 17.10.von Libyen losgefahren, sie hatten drei Tage auf See verbracht, dann waren sie manövrierunfähig. Sie hatten keine Nahrung und kein Wasser mehr.
Die beiden Flüchtlinge erzählen, dass am dritten Tag zwei große Schiffe der italienischen Marine kamen und sie alle auf diese Schiffe umgeladen wurden. Die Militärs hätten sie sofort aufgefordert, alles was sie bei sich hatten abzugeben, und versicherten ihnen, dass sie die Dinge später wieder zurückbekommen würden. Die Flüchtlinge befanden sich ca. eine Stunde auf dem Schiff, dort erhielten sie keinerlei Versorgung oder Kleidung.
Dann wurden sie auf ein andere Marineschiff verlegt (ein größeres), welches „San Marco“ hieß, wie man außen lesen konnte. An Bord gab ihnen die Besatzung Wasser, eine Nummer und dann wurden sie alle einer nach dem anderen fotografiert. Die Besatzung informierte sie, dass sie ihre Fingerabdrücke bei den Polizeibeamten, die sich in Zivil, aber mit Namensschildern, an Bord befanden, abzugeben hätten. Da hätten sich alle 230 Flüchtlnge geweigert, diese zu geben, aber die italienische Polizei kündigte ihnen an, sie müssten so lange auf dem Schiff verbleiben, bis sie sich identifizieren ließen. Einer älteren syrischen Frau, die über Hunger klagte, sagten die Militärs, dass sie erst etwas zu essen erhielte, wenn sie sich identifizieren ließe. Nach einigen Momenten der Spannung, so erzählen die Beiden, hätten die Polizisten Gewalt angewandt, um die Abdrücke zu nehmen. Sie hätten jedem Einzelnen mit physischer Gewalt die Finger auf die Tinte gedrückt, um die Fingerabdrücke zu erhalten.
Nach Beendigung dieser Prozedur sei ein italienisches Fernsehteam (Rai News 24, Anmerk. der Redaktion) an Bord gekommen, die einige Aufnahmen von den Decks, auf denen die Flüchtlinge unterbracht waren, machen wollten. Sie filmten Migranten und Militärs, die sich plötzlich sehr liebevoll mit den anwesenden Kindern zeigten, diese auf den Arm nahmen und mit ihnen spielten. Einige Syrer, die mit den Journalisten sprechen konnten, berichteten, was ihnen auf dem ersten Schiff, der Korvette, geschehen war, doch niemand schenkte ihnen Glauben.
Am zweiten Tag der Fahrt auf dem zweiten Schiff erhielten die Flüchtlinge ihre persönlichen Dinge zurück, aber es fehlten das Geld und der Schmuck.
Die berichten, dass sie auf dem Schiff auf blankem Stahl in einer Art Halle schlafen mussten, in dem sich die Militär-LKWs befanden.
Man habe ihnen keine Kleidung und keine Schuhe gegeben. Niemand wurde ärztlich untersucht. Von den 230 Anwesenden hatten einige über Krankheitssymptome geklagt, das an Bord befindliche medizinische Personal habe ihnen aber nur Schmerzmittel auf Nachfrage ausgehändigt.
Am 25. Oktober legte ihr Schiff im Hafen von Augusta (Südostsizilien, bei Syrakus) ab, wo sie von Mitarbeitern des Roten Kreuzes und vom UNHCR in Empfang genommen wurden. Diesen berichteten sie sofort von den Geschehnissen. Sie wurden umgehend nach Syrakus gebracht (Sala Randone, ein nicht legalisiertes Aufnahmezentrum, Anmerk. der Redaktion), wo sie die erste Nacht verbrachten. Dann sind alle weiter nach Catania gezogen, um von dort aus weiterzureisen.
Als sie uns berichteten, was ihnen widerfahren war, fiel es ihnen immer noch schwer zu glauben, dass das ihnen zugestoßen war. Sie zeigten uns die Videos, die sie mit den Handys gemacht hatten und auf denen man die Freude sah, als die italienischen Schiffe sie erreichten. Der junge Somalier wiederholte mehrfach, dass er Italien schon als Kind liebte, bei jeder Weltmeisterschaft für Italien fieberte, bei jedem Tor von Roberto Biagio weinte. Doch nachdem, was nun geschehen war, möchte er Italien nur noch verlassen und schwört, dass er niemals mehr hierher zurückkomme.
Redaktion Borderline Sicilia Onlus
Aus dem Italienischen von Judith Gleitze