Salinagrande, 20. April 2011
Bei unserer Ankunft um ca. 11.00 Uhr beim Asylaufnahmezentrum (C.A.R.A.) von Salina Grande treffen wir auf der Straße, die zur Einrichtung führt, eine Gruppe von Migranten, überwiegend Tunesier, andere hingegen halten sich vor den Toren auf. Die Straße wird von ein paar Polizisten zu Pferd patrouilliert.
Sofort nach unserer Ankunft teilen uns einige Tunesier mit, dass um 9.30 Uhr desselben Tages ein Bus mit ca. 30 Migranten das Zentrum in Begleitung von Polizei verlassen habe. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich dabei um einen Teil der Migranten, die in der Turnhalle eingesperrt waren. Dies wurde uns auch von den Tunesiern bestätigt. Am Abend zuvor wurden 120 Migranten in das Aufnahmezentrum umgesiedelt. Auch sie waren in der Turnhalle eingeschlossen, wo seit mehr als 15 Tagen 34 Tunesier anwesend sind. Die Existenz dieser, in eine Haftanstalt umgewandelten Struktur im Inneren des Aufnahmezentrums, macht den Rückgriff auf die Illegalität zur Handhabung des Notstands immer offensichtlicher. Die Situation gestaltet sich immer menschenunwürdiger und besorgniserregend, was uns auch die tunesischen Migranten verdeutlichen. Sie berichten, dass jeglicher Kontakt zu ihnen verboten sei. Außerdem erfahren wir von ihnen, dass aller Wahrscheinlichkeit nach ein weiterer Bus gegen Nachmittag die in der Turnhalle eingeschlossenen Migranten nach Bari bringen würde. Um 12.30 Uhr steigt die Spannung. Wir sehen außerhalb der Umzäunung einen Bus, der in das Innere des Zentrums fährt, sowie die zur Aufstandsbekämpfung eingesetzten Kräfte, die sich vor dem Eingang der Turnhalle aufstellen und die Migranten. Sie fangen an zu protestieren, sobald sie verstehen, dass Bari nicht das eigentliche Ziel ihrer Reise ist, sondern dass sie in Wirklichkeit die Abschiebung erwartet. Den Angaben einiger Migranten zufolge wird es im Innern der Turnhalle unruhig: die Migranten drohen mit Selbstverletzungen und Inbrandsetzung des Gebäudes, damit die Türen geöffnet werden. Einer von ihnen habe versucht, sich selbst zu verletzen, ein anderer, sich das Leben zu nehmen, wird uns erzählt. Er wurde sofort auf die Krankenstation gebracht. In der Zwischenzeit versammeln sich weitere Polizisten in der Mitte des Innenhofs, um zu vermeiden, dass alle anderen Migranten, die die Szene verfolgt haben, sich den Aufständischen anschließen. Dieses Klima herrschte bis ca. 13:00 Uhr vor. Während die Situation im Inneren des Zentrums ruhiger schien, sammelten wir weitere Informationen über die interne Situation des Aufnahmezentrums. Uns wurde erzählt, dass im Vergleich zu den vorigen Tagen, die Überfüllung des Zentrums zu einer Verschlechterung der Bedingungen führte: Viele schlafen auf engem Raum auf dem Boden, da die Matratzen nicht ausreichen. Essen ist zwar vorhanden, es wird dennoch abgelehnt, da eine extreme Schläfrigkeit nach den Mahlzeiten festgestellt wurde. Weiterhin sind Minderjährige (momentan 4) im Inneren des Zentrums. Um 16.30 Uhr verlässt ein Bus mit ca. 30 Migranten, begleitet von 2 Mannschaftswagen, das Zentrum und fährt in Richtung Flughafen Falcone- Borsellino, um die Abschiebungen durchzuführen. Wir sind ihm bis zum Zielort gefolgt. Um 17:00 Uhr wird uns per Telefon über die Ankunft eines Busses voller Migranten im Zentrum von Salina Grande berichtet. Einige Stunden nach Ankunft am Flughafen sind zwei Rettungswagen hinzugekommen, da die Migranten anfingen sich Verletzungen zuzufügen, um sich der Abschiebung zu widersetzen. Manche von ihnen sind in die Krankenhäuser von Palermo gebracht worden. Uns war nur möglich zwei der Krankenhäuser zu erreichen. Wir konnten die Präsenz zweier Migranten im „Cervello“ und weiterer vier im „Villa Sofia“ ausmachen. Im Ersten (Cervello) haben sie uns nach anfänglichem Druck unsererseits Eintritt gewährt. Wir konnten so den Migranten die Telefonnummern der Anwälte geben. Allerdings wurde uns nicht gestattet sicherzustellen, dass die Migranten auch tatsächlich einen Rechtsbeistand hätten nominieren können. Die Polizei hat uns verbal (durch Beschimpfungen) und physisch (durch Schubsen) distanziert. Im zweiten Krankenhaus (Villa Sofia) wurde uns nicht erlaubt einzutreten. Wir haben darauf bestanden, den Migranten die Kontaktdaten der Anwälte durchzugeben. Sofort erhöhte sich die Präsenz der Ordnungskräfte und es wurde versucht uns irrezuleiten, indem sie die Aufmerksamkeit auf die Notaufnahme lenkten. Von dort haben wir schnell die Verlagerung bemerkt. Auch unsere Versuche der Kontaktaufnahme mit den Migranten, die schon in dem Wagen waren, wurden durch physische Gewaltanwendung (Schubsen) verhindert. Wir versuchten, die Wagen aufzuhalten indem wir fragten wo sie sie hinbringen würden. Uns wurde jedoch keine Antwort gegeben, noch nicht einmal vom Leiter der Operation, der dort anwesend war.
presidiochinisia